Es gibt wohl kaum ein Bauvorhaben, das „ wie am Schnürchen“ abläuft. In der Regel kommt es zu Änderungen, Verzögerungen oder gar Unterbrechungen des ursprünglich vorgesehenen Bauablaufs, wobei hierfür die verschiedensten Ursachen vorliegen können. Wenn dann die vertraglich vereinbarte Ausführungsfrist überschritten wird, denkt der Auftraggeber häufig daran, den Auftragnehmer hierfür in Anspruch zu nehmen, z. B. durch Geltendmachung einer Vertragsstrafe. Nicht selten liegen die Ursachen für die Verzögerung jedoch im Einfluss- und Verantwortungsbereich des Auftraggebers. In diesen Fällen haftet der Auftragnehmer natürlich nicht für den eingetretenen Verzug, sondern kann vielmehr seinerseits Ansprüche gegen den Auftraggeber geltend machen. Zum einen steht dem Auftragnehmer ein Anspruch auf Bauzeitverlängerung zu; daneben kann ein Schadenersatzanspruch bestehen.
Ausführungsfristen werden gemäß § 6 Abs. 2 a bis c VOB/B verlängert, soweit der Auftragnehmer in den ordnungsgemäßen Ausführungen seiner Leistung behindert ist und die Behinderung verursacht ist durch einen vom Auftraggeber zu vertretenen Umstand, durch Streik oder Aussperrung im Betrieb des Unternehmers oder in einem unmittelbar für ihn arbeitenden Betrieb, oder aber durch höhere Gewalt oder andere für den Unternehmer unabwendbare Umstände. Diese Grundsätze der VOB/B sind auch beim BGB-Werkvertrag entsprechend anzuwenden.
Welche hindernden Umstände hat der Auftraggeber zu vertreten? Hier kommen z. B. folgende Behinderungen in Betracht:
– verspätete Bereitstellung der Baugenehmigung oder anderer öffentlich-rechtlicher
Genehmigungen und Erlaubnisse
– verspätete Übergabe der für die Ausführung der Bauleistungen nötigen Unterlagen,
also Pläne, Ausführungszeichnungen, Statik usw.
– verspätete Bereitstellung des baureifen Grundstücks und der notwendigen Lager-
und Arbeitsplätze
– unzureichende Aufrechterhaltung der allgemeinen Ordnung auf der Baustelle oder
mangelhafte Regelung des Zusammenwirkens der verschiedenen Unternehmer.
Um seinen Anspruch auf Bauzeitverlängerung zu sichern, muss der Auftragnehmer dem Auftraggeber die Behinderung schriftlich anzeigen (Baubehinderung). Da eine Anzeige an den bauleitenden Architekten nur in Ausnahmefällen genügt, sollte der Auftragnehmer den sicheren Weg beschreiten und die Baubehinderung dem Auftraggeber übersenden.
Eine Behinderungsanzeige liegt auch vor, wenn die Behinderung aus dem Baustellenbesprechungsprotokoll hervorgeht oder im Bautagesbericht festgehalten ist, wenn diese dem Auftraggeber zugeht oder von diesem gegengezeichnet worden ist.
Eine Behinderungsanzeige kann nur dann entfallen, wenn dem Auftraggeber offenkundig die hindernden Umstände bekannt sind.
Häufig kann der Auftragnehmer mit seiner Bauleistung nicht zum vorgesehenen Termin beginnen, weil Vorunternehmer nicht rechtzeitig fertig geworden sind oder deren Leistungen mängelbehaftet sind und zunächst nachgebessert werden müssen.
Auch in einem solchen Fall fällt der Hinderungsgrund in den Risikobereich des Auftraggebers, und der Auftragnehmer hat Anspruch auf Bauzeitverlängerung und Bezahlung damit verbundener Mehrkosten.
Bei den Witterungseinflüssen ist zu beachten, dass Witterungseinflüsse, mit denen bei Abgabe des Angebotes normalerweise gerechnet werden muss, nicht als Behinderung gelten. Nur außergewöhnliche Witterungsverhältnisse können im Einzelfall eine Verlängerung der Ausführungsfrist bewirken, so z. B. eine langanhaltende, ungewöhnliche Kältewelle, ein wolkenbruchartiger Regen, der so stark und so selten ist, dass damit an der Baustelle im Durchschnitt nur alle 10 oder 20 Jahre einmal zu rechnen ist. In Zweifelsfällen empfiehlt es sich, die Erkenntnisse des Wetterdienstes zu Rate zu ziehen, sich insbesondere die Mittelwerte der vergangenen Jahre geben zu lassen.
Wann kann der Auftragnehmer im Fall von Behinderungen oder Bauablaufstörungen Zahlungsansprüche gegenüber dem Auftraggeber geltend machen?
Da nahezu jede Bauzeitverlängerung mit erheblichen Mehrkosten verbunden ist, sollte der Auftragnehmer diesem Problem große Aufmerksamkeit widmen. Auch für einen Mehrkostenerstattungsanspruch ist entscheidend, welche Ursachen zur Bauablaufstörung geführt haben. Hier muss unterschieden werden zwischen äußeren Einflüssen, die bei Vertragsschluss bekannt sind, äußeren Einflüssen, die erst nach Baubeginn erkennbar werden, und innerbetrieblichen Einflüssen. Letztere liegen im Bereich des Auftragnehmers und führen nicht zu Ansprüchen gegen den Auftraggeber.
Außerbetriebliche Ursachen, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bekannt oder erkennbar waren, sind z. B. die normalen Witterungseinflüsse sowie die Standortbedingungen einer Baustelle; hierüber muss sich der Auftragnehmer entsprechende Informationen beschaffen und bei seiner Kalkulation berücksichtigen.
Dagegen sind außerbetriebliche Einflüsse, die erst nach Vertragsabschluss bzw. nach Baubeginn auftreten oder zu erkennen sind, in der Preisermittlung des Auftragnehmers nicht berücksichtigt und können zu Nachforderungen des Auftragnehmer führen, welche auf § 2 Abs. 5 VOB/B (zusätzliche Vergütung), auf § 6 Abs. 6 VOB/B (Schadensersatz) oder auch auf § 642 BGB (Entschädigung) gestützt sind. Solche außerbetrieblichen Einflüsse sind z. B.:
– notwendige Leistungsänderungen oder Zusatzleistungen aufgrund fehlerhafter
oder unvollständiger Leistungsbeschreibung
– nicht termingemäße Freigabe der Baustelle nebst Arbeits- und Lagerplätzen
– verspätet erteilte Baugenehmigungen oder sonstige Genehmigungen
– Mengenänderungen, die über die Toleranzgrenze von 10 % gemäß
§ 2 Abs. 3 VOB/B hinausgehen
– Planungsänderungen bzw. Umplanungen während des Bauablaufs
– Zusatzleistungen auf Wunsch oder Anordnung des Auftraggebers
– verspätete oder mangelhafte Fertigstellung von Vorunternehmerleistungen
– verspätete Planbeistellung.
Voraussetzung für einen zusätzlichen Vergütungsanspruch gemäß § 2 Abs. 5 oder 6 VOB/B infolge von Behinderungen ist eine entsprechende Anordnung des Auftraggebers. Da diese in der Praxis häufig fehlt, weil sich die Behinderungen „einfach so“ ergeben, kommt zunächst § 6 Abs. 6 VOB/B in Betracht. Danach kann der Auftragnehmer, wenn die Behinderungen in der Bauausführung vom Auftraggeber zu vertreten sind, von diesem Ersatz des nachweislich entstandenen Schadens, den entgangenen Gewinn aber bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit, verlangen. Der Schaden umfasst die dem Auftragnehmer durch die Behinderung entstandenen Mehrkosten. Voraussetzung sind wiederum die Baubehinderungsanzeige bzw. der Nachweis, dass dem Auftraggeber die Behinderung bekannt war. Außerdem muss der Auftragnehmer darlegen, dass die Behinderungen ursächlich waren für die Bauzeitverschiebung oder –verzögerung. Diese Nachweise sind oft sehr schwer zu führen.
Unter Umständen etwas einfacher darzulegen sind die Voraussetzungen für den Entschädigungsanspruch aus § 642 BGB wegen eines Annahmeverzuges des Auftraggebers. Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift betrifft insbesondere Stillstands- / Vorhaltekosten für Geräte und Personal, ist aber durch die jüngere BGH-Rechtsprechung immer mehr in der Fokus bei Zahlungsansprüchen des Auftragnehmers wegen Bauablaufstörungen gerückt.
Generell aber gilt grundsätzlich trotzdem: Bei diesen Ansprüchen stellt die Rechtsprechung an die Darlegungen des Auftragnehmers sehr hohe Anforderungen, deren Erläuterung im Rahmen dieses Artikels zu weit führen würde. Dem Auftragnehmer ist anzuraten, sich zur Geltendmachung eines Anspruchs der Unterstützung eines im Baurecht erfahrenen Anwalts zu bedienen.
Annett Süß
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht