Eine Besonderheit der VOB/B stellen die in § 16 Abs. 3 enthaltenen Bestimmungen über die Schlusszahlung dar.

Insbesondere die sogenannte Schlusszahlungseinrede oder die vorbehaltlose Annahme der Schlusszahlung gemäß § 16 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B ist von großer praktischer Bedeutung. Diese Regelung eröffnet dem Auftraggeber unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, die Einrede der vorbehaltlosen Annahme der Schlusszahlung zu erheben und damit einen über die Schlusszahlung hinausgehenden Werklohnanspruch des Auftragnehmers unabhängig davon, ob dieser berechtigt ist oder nicht, abzulehnen und damit dessen Durchsetzbarkeit auszuschließen.

Unter welchen Voraussetzungen kommt diese für den Auftragnehmer „tückische“ Schlusszahlungseinrede zur Anwendung?

Die VOB/B ist als Ganzes Vertragsgrundlage.

Es liegt eine prüfbare Schlussrechnung vor.

Der Auftraggeber hat eine als solche gekennzeichnete Schlusszahlung geleistet.

Der Auftragnehmer ist schriftlich auf die Ausschlusswirkung hingewiesen worden.

Der Auftragnehmer hat sich nicht binnen 28 Tagen seine weitergehenden Ansprüche vorbehalten.

Eine Schlusszahlung des Auftraggebers liegt vor, wenn die Zahlung insgesamt den Willen des Auftraggebers erkennen lässt, eine abschließende Zahlung leisten zu wollen. Dazu genügen Vermerke wie „Restzahlung“, „Restbetrag“, „Ausgleich der Rechnung vom“ auf dem Überweisungsträger. Gemäß § 16 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B steht im übrigen die schriftliche und endgültige Ablehnung weiterer Zahlungen einer Schlusszahlung gleich, wenn deshalb weitere Zahlungen abgelehnt werden.

Die Schlusszahlungseinrede ist nicht davon abhängig, dass die Schlusszahlung innerhalb der zweimonatigen Schlussrechnungsprüfungsfrist gemäß § 16 Abs. 3 Nr. 1 VOB/B erfolgt.

Wenn eine solche Schlusszahlung vorliegt, ist für den Auftragnehmer besondere Vorsicht geboten, wenn er seinen restlichen Vergütungsanspruch nicht verlieren will. Er muss sich nämlich seine über die Schlusszahlung hinausgehenden Ansprüche gegenüber dem Auftraggeber ausdrücklich vorbehalten. Die Vorbehaltserklärung des Auftragnehmers wird mit dem Zugang beim Auftraggeber oder seinem Bevollmächtigten wirksam. Der vom Auftraggeber beauftragte Architekt oder Ingenieur ist jedenfalls dann der richtige Adressat der Vorbehaltserklärung, wenn er mit der Bauabrechnung befasst war und im Einverständnis mit dem Bauherrn die Verhandlungen mit den Auftragnehmern über deren Vergütungsanspruch führt. Sicherheitshalber sollte jedoch der Auftragnehmer sowohl gegenüber dem Architekten oder Ingenieur, als auch gegenüber dem Bauherrn den Vorbehalt erklären.

Wichtig ist dabei die Einhaltung der Frist von 28 Tagen. Aus Beweisgründen empfiehlt sich die Übersendung der Vorbehaltserklärung durch Einschreiben mit Rückschein. Die Frist beginnt mit Zugang der Schlusszahlung, bei Überweisungen mit Zugang des Überweisungsträgers beim Auftragnehmer, sofern dieser die Bankunterlagen zumindest wöchentlich abholt.

In bestimmten Ausnahmefällen kann der Vorbehalt entbehrlich sein, z. B. wenn der Auftragnehmer unmittelbar vor dem Eingang der Schlusszahlung gegenüber dem Auftraggeber erklärt hatte, dass er auf Bezahlung der vollen Rechnungssumme bestehe. Auch eine innerhalb der Vorbehaltsfrist bereits erhobene Zahlungsklage macht den Vorbehalt im allgemeinen entbehrlich.

Gemäß § 16 Abs. 3 Nr. 5 VOB/B muss der Auftragnehmer über den Vorbehalt hinaus innerhalb von weiteren 28 Werktagen eine prüfbare Rechnung über die vorbehaltene Forderung einreichen oder den Vorbehalt eingehend begründen.

Hat der Auftragnehmer den notwendigen Vorbehalt trotz der erfolgten Schlusszahlung nicht erklärt, so ist er mit allen Nachforderungen ausgeschlossen und kann auch früher erhobene, aber unerledigt gebliebene Ansprüche nicht mehr geltend machen. Dies gilt auch für Ansprüche aus Zusatz- und Ergänzungsaufträgen. Die Ansprüche des Auftragnehmers gehen in diesem Falle aber nicht unter, sondern sie sind einredebehaftet, also nicht mehr gerichtlich durchsetzbar, wenn sich der Auftraggeber darauf beruft. Möglich bleibt jedoch eine Aufrechnung der weiteren Vergütungsansprüche mit etwaigen Gegenansprüchen des Auftraggebers.

Die Ausschlusswirkungen des § 16 Abs. 3 Nr. 2 und 4 VOB/B gelten nicht für ein Verlangen des Auftraggebers nach Richtigstellung der Schlussrechnung und –zahlung wegen Aufmaß-, Rechen- und Übertragungsfehlern (§ 16 Nr. 3 Abs. 6 VOB/B).

Hat der Auftragnehmer nun überhaupt keine Chance mehr, zu seinem Geld zu kommen, wenn er die Vorbehaltserklärung nach wirksamer Schlusszahlungserklärung versäumt hat? Ein möglicher Rettungsanker kann in der oben unter Ziffer 1 aufgeführten Voraussetzung liegen, wonach die VOB/B als Ganzes Vertragsgrundlage sein muss.

Bekanntlich ist die VOB/B eine allgemeine Geschäftsbedingung, die an den Regelungen des Gesetzes über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen gemessen wird. Als Ganzes ist die VOB/B ein ausgeglichenes, den Interessen beider Vertragspartner gerecht werdendes und an den Erfahrungen der Praxis ausgerichtetes Vertragswerk, das insgesamt mit dem AGB-Gesetz im Einklang steht. Wenn jedoch die Parteien durch Vertragsvereinbarungen in das Gesamtgefüge der VOB derart eingreifen, dass dadurch deren ausgewogenes und gerechtes Zusammenspiel beeinträchtigt wird, ist die VOB nicht mehr als Ganzes vereinbart mit der Folge, dass dann sämtliche Regelungen der VOB/B im einzelnen nach dem AGB-Gesetz beurteilt werden. Hierbei ist zu beachten, dass dieser sogenannten „isolierten“ Inhaltskontrolle gemäß § 307 BGB eine nicht unerhebliche Zahl von Vorschriften der VOB/B nicht standhält. Dies gilt auch für die in § 16 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B enthaltene Schlusszahlungseinrede. Mit anderen Worten: Wenn die VOB/B nicht als Ganzes Vertragsgrundlage ist, „funktioniert“ die Schlusszahlungserklärung des Auftraggebers nicht.

Annett Süß
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht